„Ist das gerade Mode?“

„Dein Blog bekommt im Moment genug Material im Fernsehen. Ist das irgendwie in Mode gerade oder war das schon immer so und ist mir nie aufgefallen?“, schrieb mir neulich eine Freundin, als sie mir den Link zur Ankündigung der Langzeit-Dokumentation „Marie will alles – Durchstarten mit Down-Syndrom“ schickte.

Sie meinte damit, dass in der letzten Zeit ziemlich viele TV-Formate über Menschen mit Down-Syndrom zu sehen waren.

Und ich antwortete: „Scheint wirklich grade in Mode zu sein.“

Aber ganz sicher bin ich mir auch nicht.

Sehen wir uns an, was in den letzten vier Wochen alles über Menschen mit Down-Syndrom im Fernsehen kam:

  • „Down the Road“ (SWR)
  • „Der Schwarzwälder Hirsch“ (VOX – dazu werde ich auch noch etwas schreiben, versprochen)
  • „Marie will alles – Durchstarten mit Down-Syndrom“ (WDR)

Zumindest sind das die Formate, die mir bekannt sind.

Nun ist die Frage vielleicht gar nicht unbedingt, ob das grade Zufall, Absicht oder Mode ist, denn diese Frage wird sich wahrscheinlich nie wirklich beantworten lassen.

Wie wahrscheinlich ist es, dass es Absicht ist? Die Fernsehanstalten werden sich wohl kaum miteinander abgesprochen haben.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es Zufall ist? Ziemlich wahrscheinlich.
Wie wahrscheinlich ist es, dass es grade „Mode“, ein Trend ist, Menschen mit Down-Syndrom auf die verschiedenste Art und Weise im TV zu porträtieren? Keine Ahnung. Es macht den Anschein, aber vielleicht fällt es meiner Freundin (und mir) auch nur häufiger auf, weil wir uns eben viel mehr mit dem Thema Down-Syndrom auseinandersetzen als zum Beispiel vor fünf Jahren, als ich selbst mit dem Thema DS noch keinerlei Berührungspunkte hatte.

Die Frage, die man sich vielleicht eher stellen kann (und sollte), ist: Ist es gut, dass derzeit so viele Sendungen über Menschen mit Down-Syndrom im Fernsehen gezeigt werden?

Doch auch diese Frage kann ich nicht mit einem eindeutigen Ja oder Nein beantworten. Viel eher – das jedoch ist meine persönliche Meinung – kann ich sie beantworte mit: Ja und Nein.

Ja, denn …

Ja, es ist gut, denn Menschen mit Down-Syndrom, generell Menschen mit Behinderungen (MmB) wird immer noch nicht genügend Raum in den deutschen Medien gegeben.
Es ist schon besser als es vor 20, 30 Jahren war, aber Luft nach oben gibt es definitiv immer noch.
MmB werden aber nicht nur von Medien ausgeklammert, sondern von unserer Gesellschaft generell. Weil Menschen mit Behinderung keine Lobby haben, früher (und auch heute noch) in Heime und Werkstätten abgeschoben wurden, in einer Parallelwelt verschwinden, kommt die „inklusive Gesellschaft“, wie sie ja eigentlich sollte, nicht in den Köpfen der Bevölkerung an.

Weil Verständnis fehlt, weil Berührungspunkte fehlen, weil der regelmäßige Umgang zwischen behinderten und „nicht-behinderten“ Menschen fehlt.

Deshalb: Ja, es ist gut, dass es solche TV-Formate gibt – und dass es so viele gibt. Denn nicht jeder kennt einen Menschen mit Behinderung, nicht jeder weiß, was es mit dem Down-Syndrom auf sich hat und was dies für den Alltag der Betroffenen bedeutet.

Nein, denn …

Die andere Seite ist: „Menschen mit Behinderung sind genau so normal wie alle anderen.“

Das ist der hehre Wunsch beziehungsweise die bedingungslose Forderung an die Gesellschaft, Menschen mit Behinderung als ganz normalen Bestandteil der Bevölkerung anzusehen. Und ja: Menschen mit Behinderung gehören zu einer heterogenen Gesellschaft ebenso dazu wie dicke Menschen, dünne Menschen, große Menschen, kleine Menschen, …

Aber: Dann müssten keine TV-Formate mehr über sie gemacht und ausgestrahlt werden. Die bräuchte es dann nicht mehr.

So aber gibt es diese TV-Formate, und dies ist deren Kehrseite: Diese Sendungen sagen den Zuschauer:innen schon allein dadurch, dass es sie gibt: „Hey, hier zeigen wir euch das Leben von Menschen, die so anders sind als ihr, dass wir beschlossen haben, über sie eine Dokumentation zu drehen.“

Gut gemeint, gut gemacht?

Und hier kommen wir zu der Art und Weise, wie ein TV-Format über Menschen mit Behinderung gemacht wird. Denn auch das ist eine Gratwanderung.
Schrammt die Sendung ganz knapp am Trash vorbei? Werden Betroffene darin gar vorgeführt? Was will die Sendung den Zuschauer:innen sagen?

Ich habe ja „Down the Road“ sehr ausführlich besprochen und hatte dort an einigen Stellen das Gefühl, dass es eher einer Daily Soap gleichkommt als einer dokumentierten Abenteuerreihe mit Ross Antony.
Allerdings: Auch solche Formate sind meiner Meinung nach durchaus erlaubt und sogar wichtig – solange die Würde der Teilnehmer:innen nicht in den Dreck gezogen wird.
Und das tut sie dort nicht.

Aber ich schweife ab.

Deshalb: Nein, es ist nicht gut, dass es solche TV-Formate gibt, denn sie zeigen den Zuschauer:innen doch wieder einmal auf, dass Menschen mit Behinderung eben nicht normal, sondern so anders als die „Normalen“ sind, dass es den Fernsehanstalten wert ist, über sie zu berichten.

Es ist ein zweischneidiges Schwert, zumindest für mich.